Wie man Führung aktiviert, bevor man sie verbessert
Zu den prägenden Erfahrungen meiner Karriere im Interim Management gehören auch wachsende Selbstzweifel. Nicht an der Idee von Führung – sondern an ihrer Bereitschaft, überhaupt stattzufinden.
Ich habe über Jahre gesehen, wie viel Aufwand in Leadership-Programme, Kulturinitiativen und Feedbacksysteme fließt.
Doch trotz all dieser Investitionen bleibt eines auffällig: Führung wird optimiert, aber zu selten aktiviert. Wir schulen Methoden, messen Ergebnisse – aber übersehen den Schritt davor: die innere Entscheidung, Verantwortung wirklich zu übernehmen.
Führung beginnt nicht mit Tools, sondern mit Bewusstsein – mit dem Willen, Haltung zu zeigen, zuzuhören und Resonanz zu erzeugen.
Wenn Führung sichtbar werden müsste – und unsichtbar bleibt
Ein Personalchef begleitet eine schwierige Transformation.
Investoren fordern Kostensenkungen, das Management drängt auf Tempo, die Belegschaft verliert Vertrauen. Er kennt die Zahlen, er kennt die Prozesse – und er weiß, was zu tun ist.
Doch worin besteht seine Führungsleistung?
In der kompromisslosen Umsetzung des Sparprogramms?
Oder in der Fähigkeit, inmitten von Unsicherheit Orientierung zu schaffen – niemanden über Bord gehen zu lassen und zugleich die Kultur und Leistungsfähigkeit zu sichern?
Genau hier zeigt sich, ob jemand führen will – und nicht nur muss.
Führung beweist sich nicht im Vollzug, sondern im Gestalten von Resonanz: im Hören, Verstehen und Vermitteln – gerade dann, wenn Druck, Angst und Widersprüche dominieren.
Häufig sind es nicht fehlende Kompetenzen, sondern unternehmenspolitische Zwänge, die Führung einengen. Ziele, Vorgaben, Machtstrukturen: All das kann den Raum für Haltung und Kommunikation so verengen, dass Führung auf „Befehl und Gehorsam“ zusammenschrumpft.
Doch genau hier beginnt Führungsarbeit.
Wer Zwänge erkennt, kann Orientierung zurückgewinnen.
Wer Führung aktivieren will, muss dafür sorgen, dass sie überhaupt zugelassen wird – auch unter Druck.
Alle Verbesserungsprogramme bleiben wirkungslos, wenn die strukturelle und persönliche Führungsbereitschaft fehlt oder blockiert ist.
Führung braucht Resonanz und Vertrauen, nicht nur Kontrolle und Tempo.
Warum das Thema so entscheidend ist
Schlechte Führung ist der häufigste Kündigungsgrund – und der Hauptfaktor für mangelnde Identifikation und Leistungsbereitschaft. Ein zentraler Risikofaktor unserer Wirtschaft.
Führung entscheidet unmittelbar über Kultur, Motivation und Ergebnis.
Wenn Führung ausbleibt oder fehlgeleitet ist, entsteht ein Vakuum:
Verantwortung wird verschoben, Kommunikation verflacht, Vertrauen erodiert.
Genau hier werden Interim Manager gerufen – oft, weil Führung versagt hat oder die Weichen falsch gestellt wurden.
Doch unser Auftrag geht weiter:
Wir sind Führungsarchitekten.
Wir schaffen die Strukturen, in denen Führung wieder stattfinden kann – sichtbar, menschlich, wirksam. Wir aktivieren Führung, bevor wir sie verbessern.
Führungsbereitschaft aktivieren – der Dreh- und Angelpunkt
Führungsbereitschaft lässt sich nicht befehlen, aber aktivieren.
Das ist die eigentliche Aufgabe moderner Leadership-Entwicklung – und einer der stärksten Hebel im Interim Management.
Aktivierung beginnt mit Wahrnehmung: Zuhören, Beobachten, Spiegeln.
Führungskräfte müssen wieder hören lernen, was ihre Teams und Stakeholder wirklich sagen – auch zwischen den Zeilen.
Das schwedische Wort Lyhörd beschreibt diese Haltung: hellhörig, aufmerksam, empfänglich für Zwischentöne. Als Kultur- und Führungsprinzip erkennt Lyhörd, was unausgesprochen bleibt, und reagiert auf Schwingungen, nicht nur auf Aussagen.
Sie ist kein Soft Skill, sondern eine Haltung – die Grundlage für Vertrauen und Wirkung.
Kommunikation gestalten – High Talk, Basic Talk, Move Talk und Hidden Talk
Führung ist Kommunikation – aber auf mehreren Ebenen:
- High Talk: Strategie, Argumente, Zahlen.
- Basic Talk: Emotionen, Sorgen, Widerstände.
- Move Talk: Körpersprache, Gestik, Schweigen.
- Hidden Talk: das, was zwischen den Zeilen geschieht – Stimmungen, Spannungen, unausgesprochene Botschaften.
Führungsbereitschaft heißt, diese Ebenen wahrzunehmen und miteinander zu verbinden.
Wer nur in High Talk führt, verliert Anschluss.
Wer Basic Talk ignoriert, verliert Vertrauen.
Und wer Hidden Talk nicht wahrnimmt, führt ohne Kontext.
Das Process Communication Model (PCM) bietet hier Orientierung: Es hilft, Kommunikationsmuster zu erkennen, Motivationstypen zu verstehen und Stresssignale zu deuten.
Doch entscheidend bleibt Haltung – die Bereitschaft, Kommunikation als Resonanzraum zu begreifen.
Führung ist Resonanz – kein Befehlssystem
Führung wirkt nicht durch Ansagen, sondern durch Beziehung.
Sie entsteht, wenn Klarheit auf Vertrauen trifft.
Führung in Resonanz heißt:
- Wahrnehmen, bevor man eingreift.
- Verstehen, bevor man bewertet.
- Sprechen, nachdem man gehört hat.
So entsteht Führungsbereitschaft – nicht als Eigenschaft, sondern als Resonanzprozess. Sie zeigt sich, wenn Menschen Verantwortung übernehmen, weil sie den Sinn dahinter erkennen.
Kompass und Leuchtturm – Führungskapital in der Praxis
Führungskräfte mit echter Bereitschaft sind Kompass und Leuchtturm zugleich.
Als Kompass geben sie Orientierung und zeigen Kursabweichungen, ohne Menschen zu verlieren. Als Leuchtturm schaffen sie Transparenz und Einsicht – sie beleuchten den Raum, statt ihn zu dominieren.
Diese Form von Führung ist kein Stil, sondern Kapital – Führungskapital.
Es entsteht aus Haltung, Wahrnehmung und Wertebewusstsein.
Und es wächst, wenn Orientierung und Empathie in Balance stehen.
Im Rahmen meines Values & Impact Frameworks ist dieses Kapital der zentrale Aktivposten: Nur wer zuhören, Resonanz zulassen und Wirkung bewusst gestalten kann, baut Vertrauen, Loyalität und Engagement auf – die eigentlichen Währungen moderner Führung.
Was sich ändern muss
Führung wird heute trainiert, vermessen, evaluiert – aber zu selten aktiviert.
Wir investieren in Kompetenzen, aber vernachlässigen Bereitschaft.
Führungskompetenz kann man entwickeln. Führungsbereitschaft muss man aktivieren.
Der Weg dorthin beginnt mit drei Schritten:
- Zuhören lernen – auf Worte, Zwischentöne und Stimmungen.
- Kommunikation gestalten – bewusst zwischen High Talk, Basic Talk, Move Talk und Hidden Talk wechseln.
- Resonanz zulassen – Feedback, Emotionen und Widersprüche als Kraftquelle verstehen.
Führung wirkt nicht durch Methoden, sondern durch Bewusstsein.
Kompetenz entsteht durch Lernen – Wirkung durch Bereitschaft.
Genau hier liegt der eigentliche Wertbeitrag des Interim Managers:
Führung nicht zu ersetzen, sondern sie zu aktivieren.



