9. November: Erinnerung zwischen Abgrund und Aufbruch
Der 9. November ist ein schwieriger Tag in unserem Kalender. Er steht für Extreme: für Zerstörung und Hoffnung, für tiefste Scham und für Mut. Er vereint das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte mit einem der hellsten Momente deutscher und europäischer Einigung.
Die Reichspogromnacht von 1938 erinnert an die grausame Kraft des Hasses, der entsteht, wenn Menschlichkeit verschwindet. Der Mauerfall von 1989 dagegen symbolisiert Hoffnung, Zusammenhalt und den Willen zur Freiheit.
Heute erleben wir diesen 9. November 2025 in einer Zeit der Zerrissenheit:
– geopolitisch zwischen Ost, Fernost und West,
– ökonomisch zwischen Wachstum und Erschöpfung,
– gesellschaftlich zwischen Überforderung und Orientierungslosigkeit.
Es ist, als wären wir im Zentrum eines Wirbelsturms. Europa steht im Spannungsfeld neuer Machtachsen, ökonomischer Unsicherheiten und sozialer Brüche. Unsere Welt schwankt zwischen Fortschritt und Rückschritt, zwischen Mut und Angst, zwischen Verantwortung und Verdrängung. Gerade in dieser Zerrissenheit zeigt sich aber, worauf es ankommt: auf Haltung, Orientierung und Menschlichkeit.
Im Auge des Wirbelsturms: Wo liegt unsere Verantwortung?
Im Zentrum eines Wirbelsturms herrscht Stille. Doch diese Stille täuscht. Sie ist keine echte Ruhe, sondern gespannte Erwartung vor der nächsten Welle der Zerstörung. An den Rändern entfaltet der Sturm bekanntlich seine größte Gewalt. Also dort, wo Orientierung verloren geht, wo Kräfte gegeneinander wirken, wo Systeme zerreißen.
So fühlt sich unsere Zeit an: Wir stehen im Auge eines globalen Sturms, scheinbar ruhig im Zentrum, während um uns herum Ordnungen und Sicherheiten zerfallen.
Und wie im echten Sturm können wir dieses Zentrum nicht verlassen. Niemand kann das.
Wir müssen im Auge bleiben mit klarem Blick, mit Zuversicht, mit Verantwortung.
Im Auge des Wirbelsturms zu stehen heißt:
- die Gefahr an den Rändern zu erkennen,
- das Gleichgewicht zu halten,
- und anderen Halt zu geben, die orientierungslos geworden sind.
Das gilt für Gesellschaften ebenso wie für Unternehmen. Und es gilt besonders für Führungskräfte und Interim Manager, die oft mitten in die Stürme des Wandels gestellt werden.
Im Zentrum des Sturms zählt nicht, wie laut wir rufen, sondern wie verlässlich wir tragen.
Verantwortung, Gestaltungskraft und Resilienz im Sturm
In Zeiten des Sturms ist Verantwortung keine Formel, sondern eine Haltung. Sie zeigt sich nicht im Durchhalten, sondern im Handeln. Verantwortung heißt, Orientierung zu geben, wo Angst und Unsicherheit dominieren, und den Blick nach vorne zu richten über das eigene Umfeld hinaus.
Interim Manager erleben das täglich: Sie betreten Organisationen im Ungleichgewicht, Systeme im Umbruch, Menschen im Zweifel. Ihre Aufgabe ist nicht nur, Prozesse zu steuern, sondern Zuversicht und Stabilität zu vermitteln. Wie ein Orientierungspunkt der Ruhe im Sturm.
Verantwortung bedeutet, gleichzeitig den Kurs zu halten und Vertrauen zu stiften, damit andere handlungsfähig bleiben.
Kommunikation und Reflexion als Anker
Wenn Systeme ins Wanken geraten, wird Kommunikation zur Überlebensressource. Sie ist keine Technik, sondern die Brücke zwischen Chaos und Klarheit.
Gestaltungskraft entsteht dort, wo Kommunikation nicht als Mitteilung, sondern als Verständigung verstanden wird, und wo Führung sich die Zeit nimmt, zuzuhören, zu reflektieren und zu verbinden. Gerade im Sturm ist die Reflexion darüber kein Luxus, sondern Notwendigkeit.
Für Führungskräfte und Interim Manager heißt das: Resonanzräume schaffen, in denen Sinn, Richtung und Vertrauen wieder Gestalt annehmen, selbst wenn die äußeren Strukturen schwanken.
Resilienz: die stille Kraft des Überlebens
Resilienz ist das unsichtbare, aber spürbare Fundament jeder Führungsverantwortung. Sie basiert auf Bewusstsein und nicht auf Härte. Sie entsteht, wenn man im Zentrum des Sturms bewusst atmet, beobachtet und handelt, ohne sich mitreißen zu lassen.
Resilienz bedeutet:
- innere Stabilität inmitten äußerer Erschütterung,
- gegenseitige Hilfe statt Rückzug,
- Zuversicht trotz Unsicherheit,
- und den Willen, gemeinsam durchzuhalten, auch wenn die Kräfte schwinden.
Wer im Auge des Sturms steht, darf nicht in Angst verfallen. Er muss den Raum halten, damit andere wieder Vertrauen fassen können. Resilienz ist daher nicht nur eine persönliche Fähigkeit, sondern eine gesellschaftliche Verpflichtung. Sie verbindet die Verantwortung des Einzelnen mit der Stabilität des Ganzen.
Nutzen wir die Stille im Zentrum des Sturms
Der 9. November erinnert uns daran, wie nah Zerstörung und Hoffnung beieinander liegen und dass Verantwortung kein einmaliges Ereignis ist, sondern tägliche Aufgabe.
Führung entsteht nicht in der Lautstärke der Schlagzeilen, sondern in der Stille des Gewissens. Resilienz bedeutet nicht Abwehr, sondern Offenheit. Und Verantwortung zeigt sich genau dort, wo Orientierung fehlt.
Im Auge des Wirbelsturms zeigt sich, wer wir sind und wie wir sind. Weil wir ihn überstehen können, ohne unsere Menschlichkeit zu verlieren.



