Wie die vierte Kommunikationsebene Erfolg und Scheitern von Kooperation beeinflusst
Die Macht des Ungesagten
Ein alltägliches Beispiel: Der CEO präsentiert eine neue Strategie. Alle nicken, niemand widerspricht. Drei Wochen später ist das Projekt blockiert – gefährlich im Change-Prozess. Was ist passiert?
Hidden Talk.
Das ist die Kommunikation, die nicht ausgesprochen, aber dennoch wirksam ist.
Es sind die unausgesprochenen Botschaften, informellen Machtlinien und kollektiven Deutungen – kurz: die Zwischentöne der Macht.
Meine Definition:
Hidden Talk ist die unausgesprochene, aber handlungsbestimmende Kommunikationsebene in Organisationen. Während High Talk, Basic Talk und Move Talk sichtbar oder spürbar sind, wirkt Hidden Talk im Verborgenen – als Annahmen, Loyalitäten oder systematische Schweigemuster. Er entscheidet oft, ob Veränderung gelingt oder scheitert, ohne je ausgesprochen zu werden.
Eine vierte Kommunikationsebene
Neben den drei im letzten Blogbeitrag beschriebenen Kommunikationsebenen – High Talk, Basic Talk und Move Talk – gibt es eine vierte Ebene, die bislang selten thematisiert wird: den Hidden Talk. Er beschreibt die unausgesprochene, aber handlungssteuernde Kommunikation in Organisationen – die Gespräche, die nicht stattfinden und doch alles bestimmen.
Die unsichtbare Machtkommunikation – wie Hidden Talk wirkt
Jede Organisation besitzt zwei Kommunikationssysteme:
das formale, in dem Rollen, Prozesse und Ziele definiert sind, und das informelle, in dem Vertrauen, Einfluss und Macht wirklich spielen.
Ein Beispiel:
In einer mittelständischen Unternehmensgruppe galt der CFO als zweite Macht. Doch tatsächlich entschied der weniger präsente, aber gut vernetzte HR-Chef, welche Projekte realisiert wurden. Sein Einfluss beruhte auf Vertrauen, Nähe und strategischem Schweigen – Hidden Talk in Reinform.
Vom High Talk zum Hidden Talk – wenn Kommunikation zur Kulisse wird
High Talk ist die Bühne der Strategie.
Basic Talk ist die Sprache der Umsetzung.
Move Talk ist die Eskalation und das emotionale Echo.
Und Hidden Talk? Das ist die Regie hinter der Bühne.
Ein Beispiel:
Eine Führungskraft verkündet nach intensiven internen Verhandlungen über ein Transformationskonzept: „Wir sind uns alle einig.“ Doch Führungskräfte und Mitarbeitende denken im Stillen: „Das wird so nie funktionieren.“
Niemand sagt etwas dagegen – aber nonverbale Signale, ironische Bemerkungen und ausbleibende Zustimmung verraten die wahre Stimmung.
Im Unternehmen zeigt sich die Haltung nicht durch das, was gesagt wird, sondern durch das, was ungesagt bleibt – und dennoch Wirkung entfaltet.
Wie man Hidden Talk erkennt und nutzt
Hidden Talk lässt sich nicht sehen, aber man kann ihn lesen, hören und fühlen.
Er zeigt sich in Mustern, Atmosphären, Sprachverhalten und kleinen Unstimmigkeiten, die oft mehr sagen als jedes Statement.
Formen, in denen Hidden Talk sichtbar wird
- Strategisches Schweigen: Themen werden vermieden, weil sie Machtverhältnisse berühren.
- Übermäßige Zustimmung: Ein kollektives „Ja“, das in Wahrheit ein taktisches „Nein“ ist.
- Veränderte Energie: Meetings enden mit scheinbarem Konsens, doch danach passiert nichts.
- Ironie und Sarkasmus: Das humorvoll verpackte „eigentliche Nein“ – ein Ventil für Frust.
- Informelle Meinungsführer: Menschen, die offiziell nichts entscheiden, aber entscheidend beeinflussen.
- Ausweichkommunikation: Diskussionen weichen auf Nebenthemen aus, um das Kernproblem zu umgehen.
- Codewörter und Insiderphrasen: „Das haben wir schon probiert“, „Das ist schwierig“ – häufige Marker für kollektiven Widerstand.
- Gefühlte Stille: Eine subtile Spannung im Raum, wenn Themen Macht, Verantwortung oder Veränderung berühren.
- Unsichtbare Allianzen: Wiederkehrende Übereinstimmung bestimmter Personen in Diskussionen, die auf verdeckte Koalitionen hindeutet.
- Widersprüchliches Handeln: Offene Zustimmung – und dennoch ausbleibende Umsetzung.
Tipp: Je stärker der offizielle Konsens, desto genauer lohnt sich das Zuhören zwischen den Zeilen.
Tools zur Entschlüsselung von Hidden Talk
1. Hidden-Talk-Check
Ein pragmatischer Diagnoseansatz, den ich in change-orientierten Interim Mandaten regelmäßig einsetze:
- Welche Themen werden auffällig nicht angesprochen?
- Wer profitiert davon, dass es still bleibt?
- Was geschieht, wenn eines dieser Themen dann doch adressiert wird?
Ziel: Muster erkennen, bevor sie Dynamik entfalten.
2. Resonanzgespräche
Kurze, offene 1:1-Gespräche außerhalb der Routine:
- Nicht nur fragen: „Wie läuft’s?“, „Was gibt´s Neues“, sondern: „Was beschäftigt Euch, worüber kaum gesprochen wird?“
Ziel: Tabus identifizieren, Vertrauen aufbauen und Spannungen entlasten.
3. Mikro-Beobachtung
Das präzise Lesen des kommunikativen „Unterstroms“:
- Wer redet über wen – und wer gar nicht?
- Welche Themen verschwinden still aus der Agenda?
- Welche Wortwahl signalisiert Distanz oder Skepsis?
Ziel: Muster und Dynamiken sichtbar machen, bevor sie Widerstand formen.
4. Social Listening im Unternehmen
Informelle Kommunikationskanäle – Chatgruppen, interne Newsletter, Kaffeepausen, Flurgespräche – sind wertvolle Sensoren. Social Listening bedeutet, sie genau zu beobachten und Stimmung, Meinungslage, Konsens und Konflikte zu erspüren. Das klappt auch ohne große Infrastruktur.
Ziel: Stimmen und Narrative erkennen, die offiziell nicht vorkommen, aber das Handeln prägen.
5. Spiegel- und Resonanztechniken
Hidden Talk zu erkennen, reicht nicht. Entscheidend ist, ihn behutsam sichtbar zu machen. Z.B. so:
„Mir fällt auf, dass dieses Thema immer wieder gestreift, aber nie besprochen wird. Woran liegt das?“
Ziel: Das Ungesagte aussprechen, ohne Gesichtsverlust zu erzeugen – und so Macht in Dialog verwandeln.
Hidden Talk in virtuellen Meetings – Zwischentöne ohne Körpersprache erkennen
In digitalen Meetings ist Hidden Talk nicht weniger präsent – er ist gefährlicher.
Denn in virtuellen Räumen fehlen Körpersprache, Raumdynamik und spontane Zwischengespräche.
Typische Formen in virtuellen Hidden Talks:
- Alle Kameras sind aus – Zustimmung bleibt unsichtbar.
- E-Mails mit knappen Antworten („Alles klar“) – Zustimmung ohne Überzeugung.
- Auffällige Chat-Stille nach kontroversen Themen – passiver Widerstand.
- Nach-Meetings in Kleingruppen – die „zweite Gesprächsebene“ hinter der offiziellen.
Wie man digitale Zwischentöne erkennt:
- Auf Pausen, Sprachmuster und Reaktionszeiten achten.
- Rückfragen gezielt stellen („Wie kam das bei Ihnen an?“).
- Kurze 1:1-Nachgespräche nutzen, um Spannungen aufzufangen.
Virtueller Hidden Talk ist wie ein stilles Vibrieren im System – man spürt ihn, bevor man ihn hört. Wer ihn wahrnimmt, führt auf Distanz mit Nähe.
Fazit – die Sprache hinter der Sprache
Hidden Talk ist die Schattensprache von Organisationen – eine Sprache, die niemand offiziell spricht, die aber alle verstehen.
Sie erzählt, wer Einfluss hat, was unausgesprochen bleibt und warum Veränderung manchmal scheitert, obwohl alles logisch erscheint.
Wer Hidden Talk erkennt, führt klarer. Wer ihn versteht, kommuniziert wirksamer.
Und wer ihn gestaltet, verändert Organisationen von innen heraus.
Meine Empfehlung:
Beobachte in den nächsten Meetings nicht nur, was gesagt wird, sondern was ungesagt bleibt.
Dort liegt oft der wahre Hebel für Kooperation, Führung – und Veränderung.



