Vom Rollenkarussell zur Verantwortungskultur – wie Interim Manager im Drama-Dreieck Wandel beschleunigen

In Change-Prozessen geraten Teams schnell in destruktive Rollenmuster. Interim Manager müssen diese Dynamik rasch erkennen und konstruktiv auflösen – ohne lange Vorlaufzeiten und unabhängig von eingespielten Machtstrukturen.

Veränderung ist die Konstante unserer Zeit – und bleibt doch eine der größten Herausforderungen für Unternehmen. Als Interim Manager für Kommunikation & Marketing erlebe ich, dass Veränderung nicht nur neue Strukturen und Ziele bringt, sondern auch emotionale und psychologische Dynamiken auslöst, die jedes Projekt beschleunigen oder ausbremsen können.

Jeder kennt die typischen Sätze, wenn der Druck steigt:

  • „Wir können eh nichts ändern. Wir sind die Leidtragenden.“
  • „Ich mach das lieber selbst, sonst geht es schief.“
  • „Die da oben ruinieren uns.“

Dahinter stehen drei unbewusste, archetypische Konfliktrollen, die Menschen oder Teams einnehmen, wenn sie unter Stress oder in Konflikten stehen:

  • Opfer – erleben sich als hilflos, unfair behandelt, sind passiv, suchen Schutz, Mitleid und Bestätigung der eigenen Ohnmacht; sie warten auf Rettung.
  • Verfolger – kritisieren, kontrollieren, weisen Schuld zu; sie suchen Sicherheit und Überlegenheit durch Kontrolle.
  • Retter – helfen ungefragt, nehmen Aufgaben ab (oft um den Preis der Selbstüberforderung), schaffen aber dadurch Abhängigkeit statt Eigenverantwortung.

Dieses zentrale Muster, bekannt als Drama-Dreieck, wurde vor fast 60 Jahren von Stephen Karpman beschrieben. Es entstammt der Transaktionsanalyse nach Eric Berne, einem psychologischen Modell, das Kommunikation, Beziehungsmuster und verdeckte Motive sichtbar macht. Das Drama-Dreieck zählt bis heute zu den Klassikern der Konfliktanalyse – und ist besonders interessant für Manager in Unternehmen, die unter Druck stehen.

Das Rollenkarussell – und warum es Fortschritt blockiert

In der Praxis ist nicht die einzelne Rolle das Hauptproblem, sondern der rasche, unbewusste Wechsel zwischen ihnen – teils innerhalb eines Gesprächs. Karpman nennt das „Role switching“.

  • Aus Opfern werden Verfolger („Ihr habt keine Ahnung von unserem Job“).
  • Verfolger geraten in die Defensive und werden zu Opfern.
  • Retter übernehmen Aufgaben und verhindern damit, dass andere Verantwortung tragen.

Anmerkung: Die Realität ist oftmals noch komplexer als hier beschrieben: Es kommt vor, dass Rollenwechsel nicht einfach schnell hintereinander erfolgen, sondern Menschen parallel zur gleichen Zeit in verschiedenen Rollen stehen.

Hintergrund: Jede Rolle stillt ein psychisches Bedürfnis. In der Transaktionsanalyse redet man von Eintrittsrollen ins Dreieck und psychologischen Gewinnen:

  • Das Opfer sucht Entlastung und Schutz vor Verantwortung (und sekundär Aufmerksamkeit).
  • Der Verfolger erfährt das Gefühl von Kontrolle und moralischer Überlegenheit (und sekundär auch die Bestätigung der eigenen Wichtigkeit).
  • Der Retter erhält das Gefühl von Wertschätzung, Bedeutsamkeit und Unentbehrlichkeit (sekundär auch Dank und Anerkennung sowie die Vermeidung eigener Probleme).

Werden die jeweiligen Bedürfnisse nicht mehr erfüllt, erfolgt ein Rollenwechsel.

Folge: Verantwortung verschwimmt, Konflikte verfestigen sich, Fortschritt bleibt aus. Ganz dramatisch im Change!

Es ist wichtig, diese psychologischen Bedürfnisse zu verstehen, denn so kann man die Dynamik gezielt auflösen.

Beispiel: Restrukturierung im Marketing

Ein Unternehmen verkleinert seine Marketingabteilung, will aber Effizienz und Digitalisierung steigern:

  • CEO und Personalchef starten als Verfolger: „Binnen vier Wochen bitte ein Konzept.“
  • Team reagiert als Opfer: „Unrealistisch, ihr versteht Marketing nicht.“
  • Kurz darauf sehen sich die Verfolger selbst als Opfer mangelnder Wertschätzung.
  • Einzelne Retter übernehmen Zusatzaufgaben – und verhindern, dass andere ins Handeln kommen.

Das Ergebnis: Ein Rollenkarussell, das Energie bindet und Veränderungsziele verzögert.

Vom Drama zur konstruktiven Dynamik – das Empowerment-Dreieck

David Emerald hat 2005 einen positiven Gegenentwurf entwickelt und damit einen Vorschlag, wie man konstruktiv aus der Dynamik des Drama-Dreiecks aussteigt: das Empowerment-Dreieck. Es reframed die Rollen und richtet den Blick auf Eigenverantwortung und Lösungen:

  • Opfer werden zu Gestaltern  – sie rücken Ziele statt Probleme in den Fokus, suchen Handlungsmöglichkeiten, übernehmen Verantwortung.
  • Verfolger werden zu Herausforderern – sie kanalisieren Kritik, fordern konstruktiv, formulieren klare Erwartungen.
  • Retter werden zum Coach – sie sollen befähigen statt abnehmen, Fragen stellen statt Lösungen liefern.

Das Empowerment-Dreieck erfüllt dieselben psychologischen Bedürfnisse wie das Drama-Dreieck – nur ohne Verantwortung auszulagern.

Für Interim Manager ist dieses Reframing besonders wertvoll: Es ist sofort umsetzbar und steigert die Selbstwirksamkeit von Teams – ohne große Trainingsprogramme.

So gelingt die Rollentransformation

Vorgehen für Führungskräfte und Interim Manager

1. Muster erkennen

Zuhören! Achten Sie auf typische Sätze.
Entscheidend sind oft die ersten zwei bis drei Sätze in Konfliktsituationen:

  • Opfer: „Wir können nichts ändern.“
  • Verfolger: „Die da oben ruinieren uns.“
  • Retter: „Ich mach das lieber selbst.“

So identifizieren Sie die Eintrittsrollen und psychischen Bedürfnisse.

2. Mit Fragen umlenken

  • Opfer → Gestalter: „Was wäre ein erster Schritt, den Du selbst gehen könntest? Wie willst Du starten?“
  • Verfolger → Herausforderer: „Echt wichtig, was Du da sagst: Welche konkreten Lösungen schlägst Du vor?“
  • Retter → Coach: „Wie können wir andere stärker einbinden?“

So arbeiten Sie konkret mit den psychischen Bedürfnissen und machen diese im Gespräch bewusst. Die Fragen sind Ihre Interventionsstrategie.

3. Verstetigen

  • Wöchentliche Gestalter-Runden („Mein Beitrag diese Woche…“)
  • Herausforderer-Feedback-Sessions
  • Erfolgsgeschichten sichtbar machen

Praxisbeispiel aus einem Mandat – Selbstreflexion ist entscheidend

Ein Familienunternehmer wechselte ständig zwischen Opfer („Ich komme gegen die Blockade in unserem Entscheiderkreis nicht an“) und Verfolger („Das Projekt stockt wegen Dir – mach etwas!“). Ich selbst drohte in die Opfer-Rolle zu geraten. Als fürsorglicher Helfer (PCM-Typ „Empathiker“) musste ich mich selbst auch vor der Retter-Rolle hüten.

Durch bewusste Rollentransformation gelang es mir, seine Selbstwirksamkeit zu stärken und gemeinsam tragfähige Lösungen zu entwickeln. Er schärfte seinen Fokus, gewann Klarheit und Kontrolle zurück – und wurde zum aktiven Gestalter der Change Roadmap. Seither verband uns eine vertrauensvolle Kooperation.

Dieses Beispiel zeigt auch: Die Selbstreflexion ist ein wichtiger Punkt und oft der blinde Fleck beim Ausstieg aus dem Drama-Dreieck. Interim Manager und Führungskräfte müssen ihre eigene Eintrittsrolle, d.h., ihre eigenen psychischen Bedürfnisse („psychologischen Gewinne“) kennen.

Warum Interim Manager hier besonders wirksam sind

  • Distanz zu interner Politik ermöglicht klare Analyse ohne emotionale Verstrickung.
  • Neutralität ohne historische Loyalitäten schafft Vertrauen.
  • Zeitdruck (Interim Mandate sind zeitlich begrenzt) zwingt zu schneller, nachhaltiger Verhaltensänderung.

Solche Methoden sind in meinem Alltag als Interim Manager nie alleiniges Thema. Es gilt, so viele strategische und operative Baustellen gleichzeitig zu bearbeiten, dass die Methoden und Dosierung der Kapazitäten zwangsläufig ist. In Kombination mit anderen Methoden wie dem jüngst hier in Interimistics erörterten Process Communication Model (PCM) lässt sich noch präziser erkennen, wie unterschiedliche PCM-Persönlichkeitsmuster und deren Stressreaktionen ins Drama-Dreieck führen – und wie man gezielt aussteigt.

Fazit: Führungskunst unter Zeitdruck

Das Drama-Dreieck macht sichtbar, wie Change-Teams in destruktive Rollenstrudel geraten. Das Empowerment-Dreieck zeigt den Weg heraus – hin zu Verantwortung, Klarheit und Befähigung.

Interim Manager sind dank ihrer besonderen Position prädestiniert, diesen Wechsel einzuleiten: Rollen erkennen, reframen und konstruktives Handeln etablieren. Sie bieten die Doppelkompetenz: Diagnose + Transformation.

Das ist keine Theorie, sondern gelebte Führungskunst unter Zeitdruck.