Zuhören wollen ist Chefsache: Warum Führungskräfte lieber reden – und wie sie es ändern können

Wir leben in einer Welt des Sendens. Manager verschicken Mails, bespielen Townhalls, posten Videos – Hauptsache, die Botschaft ist draußen. Kommunikation wird fast immer als Senden verstanden. Doch die unangenehme Wahrheit lautet: gescheitert wird nicht am Reden, sondern am Zuhören.

Das Problem ist selten fehlende Fähigkeit. Es ist fehlender Wille.
78 Prozent der Mitarbeiter sagen, ihre Führungskraft hört nicht wirklich zu (Gallup 2025). Fragst du CEOs, sehen nur zwölf Prozent darin ein Problem auf ihrer Ebene. In meinen Interim-Mandaten erlebe ich es immer wieder: Führungskräfte können zuhören – sie wollen nur nicht. Denn echtes Zuhören heißt, Macht teilen, Kontrolle relativieren, Gewissheiten infrage stellen.

Zuhören – mehr als eine Technik

Viele Kommunikationsmodelle haben ungewollt dazu beigetragen, dass Führungskräfte Kommunikation vor allem aus der Senderperspektive betrachten. Ein Klassiker ist das Modell von Schulz von Thun. In der Praxis wird es häufig so verstanden: Welche Botschaften kann ich noch alles mitschicken – Sachebene, Selbstoffenbarung, Beziehung, Appell? Viel seltener wird gefragt: Was erfahre ich eigentlich, wenn ich auf all diesen Ebenen aufmerksam zuhöre?

Genau das ist die entscheidende Verschiebung: Kommunikation als Resonanzraum, nicht nur als Sendeanlage. Zuhören ist kein nettes Extra, sondern die eigentliche Führungsleistung.

Drei Illusionen der Führung

Zuhören scheitert nicht an Methoden, sondern an Illusionen, die Führungskräfte sich selbst erzählen:

IllusionRealitätHebel
„Ich habe keine Zeit zum Zuhören.“Die Zeit fehlt später – bei Nacharbeiten, Korrekturen und Widerständen.Zuhören ist Investition, kein Zeitfresser.
„Ich weiß schon, was die Leute denken.“Meist hörst du nur das, was durch deine Filter dringt.Demut: Niemand kennt alle Perspektiven.
„Zuhören schwächt meine Autorität.“Nicht-Zuhören schwächt – durch Vertrauensverlust und Distanz.Stärke entsteht durch Verstehen.

Das belegt auch die MIT Sloan Management Review-Studie 2024: In einer Untersuchung von über 200 Unternehmen weltweit zeigte sich, dass Firmen mit einer ausgeprägten „Listening Culture“ bis zu 40 % weniger Widerstand in Change-Prozessen erleben und strategische Projekte deutlich erfolgreicher umsetzen. Entscheidend war dabei nicht die Anzahl der Kommunikationsmaßnahmen, sondern die erlebte Qualität des Zuhörens durch das Top-Management.

Strategisches Zuhören: eine Frage der Haltung

Wer nicht zuhört, führt mit halbem Wissen – und das ist in Zeiten von Transformation, Restrukturierungen oder Krisen schlicht fahrlässig. Strategisches Zuhören bedeutet, Inhalte aufzunehmen, Emotionen zu deuten und kulturelle Muster zu erkennen.

Hier bietet das Process Communication Model (PCM) wertvolle Impulse. Es zeigt, wie unterschiedlich Menschen wahrnehmen, reagieren und in Stress geraten – und vor allem, wie sie gehört werden wollen. Zuhören heißt dann nicht nur: Ich verstehe die Worte, sondern: Ich erkenne, in welchem psychologischen Muster mein Gegenüber gerade steckt.

Das ist kein „Soft Skill“, sondern ein Führungsinstrument. Mit PCM lassen sich Konflikte entschärfen, Motivation steigern und Widerstände früh erkennen. In meinen Interim-Mandaten habe ich erlebt, wie ein Vorstand, der PCM bewusst einsetzte, die Stimmung in einem angespannten Integrationsteam in wenigen Wochen drehte – nicht durch neue Maßnahmen, sondern durch die Erfahrung der Mitarbeiter, endlich wirklich gehört zu werden.

Und wie bringt man andere dazu, zuzuhören?

Zuhören ist keine Einbahnstraße. Die zentrale Gegenfrage lautet: Wie schaffe ich es, dass andere mir zuhören? Dabei geht es um drei unterschiedliche Rollen – jede mit eigener Dynamik.

1. Wie schaffen es Führungskräfte, dass ihre Leute zuhören?
Die Antwort lautet: durch Vorbild und Relevanz. Wer selbst ernsthaft zuhört, baut eine Kultur auf, in der auch die eigenen Botschaften Gehör finden. Mitarbeitende hören dann zu, wenn sie erleben, dass ihre Rückmeldungen Folgen haben. Und sie hören genauer hin, wenn sie verstehen, warum eine Botschaft für ihre Arbeit wichtig ist.

  • Vorbild: Erst zuhören, dann reden.
  • Relevanz: Das Gesagte mit konkreten Konsequenzen und Nutzen verknüpfen.
  • Glaubwürdigkeit: Wiederholt zeigen, dass Feedback Spuren im Handeln hinterlässt.

2. Wie schaffe ich es als Interimmanager, dass mir meine Kunden zuhören?
Hier zählt vor allem die Fähigkeit, Schnelligkeit mit Substanz zu verbinden. Kunden – meist Vorstände oder Geschäftsführer – sind oft im Sendemodus, unter Druck und überzeugt, alles zu wissen. Zuhören erzeugt hier Aufmerksamkeit, wenn du in kurzer Zeit zeigst: Ich habe verstanden, was euch bewegt, und ich bringe einen neuen Blickwinkel ein.

  • Klare Struktur: Komplexes in prägnante Kernaussagen übersetzen.
  • Mehrwert: Den Kunden spiegeln, was sie selbst nicht sehen – blinde Flecken, Risiken, Chancen.
  • Timing: Den richtigen Moment nutzen, um das Ohr des Managements zu gewinnen – etwa nach einer Krise oder vor einer Weichenstellung.

3. Wie schaffen es Mitarbeitende, dass ihre Führungskraft zuhört?
Oft erlebe ich, dass Mitarbeitende verzweifeln, weil sie nicht „durchdringen“. Der Schlüssel liegt in Rahmen und Sprache. Führungskräfte hören eher zu, wenn Botschaften kurz, lösungsorientiert und anschlussfähig formuliert sind. Statt „Hier ist mein Problem“ wirkt „Hier ist eine Beobachtung, hier sind die Folgen, und das könnten wir tun“.

  • Klarheit: Punkte knapp und strukturiert vortragen.
  • Anschlussfähigkeit: In der Sprache und Logik der Führungskraft argumentieren.
  • Hartnäckigkeit: Wiederholen, dranbleiben – und passende Foren suchen, in denen Gehör wahrscheinlicher ist.

Zuhören ist also nicht nur Empfangen, sondern auch Gestalten von Resonanz. Wer andere zum Zuhören bewegen will, muss zuerst selbst zuhören – und dann sichtbar mit dem Gehörten arbeiten.

Wie „zuhörbar“ ist unser Unternehmen?

Zuhören ist Kultur. Und Kultur zeigt sich in Routinen. Ein schneller Check:

FrageJaNeinHebel
Beginnen Meetings mit Fragen statt mit Lösungen?Regel: „Keine PowerPoint ohne offene Diskussion.“
Gibt es sichere Räume für Kritik ohne Konsequenzen?Anonyme „Truth-Telling“-Sessions mit externer Moderation.
Wird Stille in Gesprächen ausgehalten – oder sofort gefüllt?Führungskräfte lernen, Pausen auszuhalten.

In vielen Unternehmen lautet die ehrliche Antwort: Nein. Und genau hier beginnt der Kulturwandel.

Warum Zuhören Chefsache ist

Zuhören lässt sich nicht delegieren. Es ist eine Aufgabe des Top-Managements, weil es über Vertrauen, Geschwindigkeit und Glaubwürdigkeit entscheidet. Wenn du als CEO nur sendest, läufst du Gefahr, dass sich deine Organisation innerlich abkoppelt.

Das Beispiel Boeing 737 MAX zeigt, was passiert, wenn Warnsignale überhört werden: Milliardenverluste, Vertrauenskrise, ein Kulturproblem, das bis heute nachwirkt.

Das Gegenbeispiel liefert Satya Nadella: Er hat Microsoft vom „Know-it-all“ zum „Learn-it-all“ transformiert – mit echtem Zuhören. Ergebnis: +30 % Innovation, -50 % Fluktuation.

Das kostet kein Budget, keine Tools – nur eine Haltungsänderung.

Der Test für echte Führung

Am Ende bleibt eine einfache Frage:
„Wenn Du heute eine Sache ändern könntest, um in Deinem Unternehmen mehr zuzuhören – was wäre das? Und warum tust Du es noch nicht?“

Zuhören ist kein Projekt. Es ist ein kultureller Hebel. Und er beginnt an der Unternehmensspitze!