Effizienz ohne Empathie: Warum unser Umgangston über Führung entscheidet

Wir leben in einer Welt, in der Effizienz oft wichtiger ist als Empathie.
In der Kommunikation zunehmend wie ein Prozess gemanagt wird – nicht wie eine Beziehung.

Und in der sich manche schon über eine einfache Frage zum Gesprächseinstieg aufregen:

„Können wir kurz quatschen?“

Was früher eine höfliche oder ungelenke Einladung zum Austausch war, wird heute schnell als Störung empfunden. Dabei zeigt genau dieser Satz, wie sehr unsere Kommunikationskultur aus dem Gleichgewicht geraten ist.

Denn Kommunikation ist längst nicht mehr nur Informationstransfer – sie ist ein Spiegel unseres Miteinanders. Und wie wir auf solche Sätze reagieren, sagt oft mehr über uns aus als über den Absender.

Wenn Effizienz zur Intoleranz wird

Was einst beiläufig und menschlich war, löst heute Alarm aus:
„Was will der?“
„Habe ich etwas falsch gemacht?“
„Schon wieder Zeitverlust!“

Wir projizieren unsere eigene Kommunikationslogik auf andere – und werten ab, was nicht in unser Schema passt. Doch das ist gefährlich.

Denn: Kommunikation ist kein Maschinenraum der Effizienz, sondern ein Resonanzraum für Beziehung, Vertrauen und Kooperation.

Und genau dieser Resonanzraum wird kleiner, je enger wir Kommunikation normieren.

Kommunikation ist Beziehung – nicht nur Information

Im Kern geht es immer um Beziehung.

Ein Satz wie „Können wir kurz quatschen?“ kann – je nach Persönlichkeit – völlig unterschiedlich wirken.

Die etablierte Kommunikationsmethode PCM (Process Communication Model) hilft, genau das zu verstehen – und dadurch gelassener mit Kommunikationsstilen anderer umzugehen.

PCM beschreibt sechs unterschiedliche Persönlichkeits- und Kommunikationstypen, die jeweils ihre eigene Wahrnehmung, Sprache und Motivation mitbringen. Jeder Typ hat typische Stärken, Bedürfnisse und Stressmuster – und hört Botschaften durch seine „eigene innere Brille“.

Das macht den Satz „Können wir kurz quatschen?“ zu einem lehrreichen Beispiel dafür, wie unterschiedlich Kommunikation wirken kann:

  • Der „Empathiker“ (beziehungsorientiert, warmherzig) hört: „Er braucht mich.“ → Er fühlt sich gebraucht und öffnet sich.
  • Der „Denker/Logiker“ (logisch, strukturiert) hört: „Unklarer Auftrag.“ → Er steigt sofort in Stress ein, weil Kontext fehlt.
  • Der „Beharrer“ (prinzipientreu, verantwortungsbewusst) denkt: „Warum kein Respekt durch klare Vorbereitung?“ → Er empfindet den Satz  als respektlos.
  • Der „Macher“ (energiegeladen, entscheidungsfreudig) hört: „Lass uns das fix klären.“ → Er ist direkt dabei.
  • Der „Träumer“ (reflektiert, introvertiert) fühlt sich überfallen – und zieht sich zurück.
  • Der „Rebell“ (kreativ, spontan) freut sich über den lockeren Ton – Er denkt: „Endlich jemand, der nicht so steif ist.“

Ein und derselbe Satz – sechs verschiedene Wirkungen.
Und keiner davon ist „richtig“ oder „falsch“.

PCM zeigt:
Wir hören nicht, was gesagt wird – sondern was wir zu hören erwarten.
Das erklärt, warum Missverständnisse entstehen, wo eigentlich Offenheit gemeint war.

Gerade für Führungskräfte, Projektleiter oder Interim Manager ist dieses Wissen Gold wert. Denn wer die Kommunikationslogik seines Gegenübers erkennt, kann Botschaften gezielt so formulieren, dass sie verstanden und nicht fehlinterpretiert werden.

Und umgekehrt: Wer PCM kennt, reagiert mit mehr Toleranz, wenn jemand anders spricht, als man selbst es tun würde.

So wird aus Ärger über „falsche Ansprache“ ein Moment von Einsicht – und aus Reizbarkeit eine Form von Kommunikationsintelligenz.

Und genau deshalb ist der richtige, angemessene Einstieg in ein Gespräch eine kleine Kunst.

Meine persönliche Haltung ist: Man sollte es anderen leicht machen, ins Gespräch zu kommen. Denn jedes „Können wir kurz quatschen?“ ist auch ein Versuch, eine Tür zu öffnen – ein Signal des Kontakts, nicht der Störung.

Wenn sich dahinter ein ungewünschtes Verkaufsanliegen verbirgt, kann man das Gespräch jederzeit beenden oder Desinteresse zeigen.
Aber bitte nicht vorher – nur weil einem die Ansprache nicht gefällt.
Wer reflexartig abwehrt, verliert die Chance auf echte Verbindung.

Kalenderlogik vs. Beziehungslogik

Hinzu kommt: Wir kommunizieren zunehmend durch Systeme.
„Bitte trag das in meinen Kalender ein.“
„Schick mir eine Teams-Einladung.“
„Mach dazu einen Slot auf.“

Alles effizient – aber auch irgendwie entmenschlichend.
Denn wer jede Kommunikation erst über Tools formalisieren muss, verlernt Spontaneität. Kalender schaffen Struktur, aber keine Beziehung.

Zwischen Organisation und Beziehung braucht es Balance.
Manchmal ist ein spontanes „Hast du kurz Zeit?“ mehr wert als ein perfekt geplantes Meeting.

Toolgetriebene Kommunikation – Kontextverlust inklusive

Chats, Slack, Teams, Mails – sie alle verkürzen Kommunikation.
Der Kontext schrumpft, der Tonfall verschwindet, Missverständnisse häufen sich.
Was bleibt, ist reine Funktionalität.

Doch Kommunikation funktioniert nicht ohne Zwischentöne.
Wer heute Führung oder Projektverantwortung trägt, muss deshalb bewusst gegensteuern:
Mehr Kontext, mehr Wärme, mehr soziale Intelligenz.

Digitale Etikette bedeutet nicht nur Struktur, sondern Empathie.
Und: Jede Botschaft beginnt mit einem sozialen Handshake – gerade digital.

Psychologische Sicherheit und Hierarchieeffekte

Kleine Formulierungen können große Wirkung haben.
Gerade in hierarchischen Umfeldern oder Projektteams.

Ein „Können wir kurz reden?“ aus der Chefetage kann sofort Unsicherheit auslösen.
Nicht, weil der Satz falsch wäre – sondern weil die Wirkung unbedacht bleibt.

Führung heißt auch, Kommunikationssicherheit zu schaffen.

Wer signalisiert, worum es geht und was der Anlass ist, reduziert Stress und stärkt Vertrauen.

Beispiel: „Ich würde gern kurz mit dir Rücksprache halten – nichts Kritisches, nur ein Abgleich zum Stand. Passt dir 16 Uhr?“

Klarheit und Wärme schließen sich nicht aus – sie sind Führungsqualität.

Generationen-, Kultur- und Stilunterschiede

Nicht jeder spricht gleich – und das ist gut so.

  • Jüngere Generationen kommunizieren spontaner, direkter, informeller.
  • Ältere sind oft strukturierter, verbindlicher, formeller.
  • In internationalen Teams wird es noch komplexer:
    • USA: direkt, locker.
    • Deutschland: vorbereitet, kontextreich.
    • Asien: indirekt, respektbetont.

Diese Vielfalt ist eine Stärke – wenn man sie versteht.
Wer dagegen jedes kommunikative Anderssein als Störung empfindet, zerstört Kooperationspotenzial.

Empathie als Führungsinstrument

Führungskräfte, Interim Manager und Projektleiter bewegen sich ständig in neuen Kommunikationsökosystemen.
Ihre Aufgabe ist es, diese Systeme zu lesen, nicht zu bewerten.

Das gelingt, wenn man versteht:
Menschen sprechen aus ihren Bedürfnissen heraus – nicht gegen uns.
Ein „Können wir kurz quatschen?“ ist selten ein Angriff.
Oft ist es ein Signal: Ich brauche Kontakt.

Wer das erkennt, führt besser.

Die Ökonomisierung von Kommunikation

Wir sprechen heute über Kommunikationsökonomie, als ginge es um Kostenreduktion:
„Bitte nur relevante Nachrichten.“
„Kurz und knapp.“
„Keine Smalltalks.“

Doch genau das führt zu Kälte.
Wo keine Zeit mehr für Beziehung bleibt, stirbt Kooperation.

Kommunikation darf effizient sein – aber sie darf nie seelenlos werden.
Denn Organisation funktioniert nur dort, wo Beziehung trägt.

Fazit: Toleranz ist keine Schwäche, sondern Führungskompetenz

Toleranz in der Kommunikation heißt:
Ich erkenne an, dass andere Menschen anders kommunizieren – und dass das in Ordnung ist.*

Niemand ist so wichtig, dass er sich falsch angesprochen fühlen darf.
Und niemand ist so effizient, dass er keine Zeit für Menschlichkeit hat.

Wer sich ständig über „falsche“ Ansprache aufregt, hat sein Ohr nur noch auf Sendung – nicht auf Empfang.

In einer Welt der Effizienz braucht es deshalb neue Tugenden:

  • Gelassenheit statt Reizbarkeit.
  • Verständnis statt Bewertung.
  • Beziehungsintelligenz statt Tool-Fetisch.

Oder kurz gesagt:
Wer jedes Wort durch die Effizienzbrille bewertet, verpasst die leisen Signale der Kooperation.

Beim nächsten „Können wir kurz quatschen?“vielleicht einfach mal durchatmen – und zuhören. Vielleicht will da jemand nicht stören, sondern verbinden!